Wasser im Alpenraum
Welche Qualität dürfen wir wirklich erwarten?
Die Geschichte der kleinen Raupe Stripe
von Trina Paulus aus Hoffnung für die Blumen
Stripe, eine männliche Raupe, findet sein Dasein langweilig und sinnlos und macht sich auf den Weg, das Geheimnis des Lebens zu erkunden. Er trifft andere Raupen, die anscheinend auch nicht mehr über den Sinn des Lebens wissen als er, die aber immerhin alle in eine bestimmte Richtung kriechen. So schließt er sich ihnen erst einmal an.
Bald treffen sie auf eine riesige Säule von wimmelnden, krabbelnden Raupen, die anscheinend unendlich hoch bis in den Himmel hinaufragt. Die Raupen versuchen verzweifelt, übereinanderzusteigen, um die Spitze der Säule zu erreichen, und Stripe merkt, wie ihn eine kribbelnde Erregung erfasst. Vielleicht wird er ganz oben auf der Säule das finden, wonach er sucht.
„Was ist denn dort oben?“ fragt Stripe, als eine andere Raupe vorbeikriecht. Offensichtlich weiß es der andere auch nicht so genau: „Es muss etwas ganz Tolles sein, da jeder dort hinauf will.“
Stripe beobachtet, wie immer mehr seiner Artgenossen an ihm vorbeikriechen und in der Raupensäule verschwinden. Und schließlich fasst er einen Entschluss. Er stürzt sich in die Masse von wimmelnden Raupenkörpern und beginnt ebenfalls, sich seinen Weg in die Säule hinein zu erkämpfen. Er trampelt auf anderen herum, und auch andere treten ihn, während er den Weg an die Spitze antritt.
Eines Tages freundet Stripe sich mit einer weiblichen Raupe, Yellow, an. Beide fühlen sich im Kampf auf dem Weg nach oben ein wenig müde und desillusioniert. Sie verlieben sich ineinander und beschließen, sich dem Raupenrennen zu entziehen. Irgendwie gelangen sie schließlich nach unten auf den Boden der Säule und entfernen sich von dem allgemeinen Gewimmel, um in Glück und Eintracht zusammenzuleben, aber nur für kurze Zeit. Schon bald beginnt Stripe wieder, sich zu langweilen, und er stürzt sich erneut in den Raupenkampf. Vergeblich versucht Yellow, ihn davon abzubringen. Sie trennen sich, und Stripe kehrt zurück zu der wimmelnden, krabbelnden Raupensäule, um noch einmal beim Rennen um die Spitze sein Glück zu versuchen.
Yellow geht indessen ihren Weg weiter und entdeckt, wie man als Raupe zu einem Schmetterling wird. Während sie sich in ihren Kokon einspinnt, erkämpft sich Stripe noch einmal den Weg an die Spitze der Raupensäule. Mit Energie und Skrupellosigkeit trampelt er auf den anderen herum, um den Gipfel zu erreichen. Als er sich dem höchsten Punkt dieser wimmelnden Säule nähert, entdeckt er, dass er nicht ganz bis oben hinauf kommen kann, wenn er nicht die vor ihm liegenden Raupen beiseite stößt. Er hört schon die Schreie der fallenden Raupen, die von ihren Kameraden in den Abgrund befördert worden sind. Als er jedoch nur noch ein paar Zentimeter von der Spitze entfernt ist, hört er jemanden flüstern: „Dort oben ist ja gar nichts.“
Stripe hält inne und sieht sich um. Er befindet sich am Rande der Säule, und während er über die krabbelnde Menge hinabschaut, erkennt er, dass um ihn herum die ganze Welt aus nichts anderem als aus riesigen Säulen besteht, ganz ähnlich seiner eigenen, jede zusammengesetzt aus zahllosen Raupen, die versuchen, nach oben zu kommen.
Stripe fällt jedoch nichts Besseres ein, als weiterzumachen. Plötzlich bemerkt er eine allgemeine Unruhe. Er blickt nach oben und sieht einen wunderschönen gelben Schmetterling, der mit leichtem Schlagen seiner schönen Flügel die Säule umschwebt. Der Schmetterling kommt näher und blickt offen in Stripes Augen. „Irgendwie“, denkt Stripe, sind mir jene Augen sehr „vertraut“. Plötzlich kommt in ihm eine Erinnerung hoch: „Könnte das vielleicht Yellow sein? Hat sie den Sinn und das Geheimnis des Lebens entdeckt?“ Es gibt nur einen Weg, um das herauszufinden.
Stripe dreht sich um und beginnt seinen Rückzug. Während er sich nach unten drängt, erzählt er den anderen, wie sinnlos ihr Kampf ist. Er versucht, ihnen zu sagen, dass dort oben wirklich gar nichts ist – aber sie können nicht zuhören: Sie sind zu sehr mit sich selbst und mit ihrem Wühlen und Drängen beschäftigt. Natürlich nehmen sie an, er sei nur neidisch, weil er es selbst nicht bis ganz oben geschafft hat. Insgeheim sind sie sich zwar ein wenig unsicher, aber sie wissen nicht, was sie sonst tun sollten. Selbst wenn dort oben nichts wäre, so möchten sie es eigentlich gar nicht wissen. Sie müssen immer weitersteigen, denn sie haben keine Alternative in ihrem Leben.
Einer der Krabbler bemerkt, Stripe sei eben ein Dummkopf, wenn er meint, er könne etwas anderes als eine Raupe sein. Er ist und bleibt eben ein Wurm – und er solle versuchen, dieses Leben als Wurm einfach zu genießen.
Stripe wird unsicher. Immerhin gibt es keine Beweise, dass er tatsächlich zu einem Schmetterling werden kann. Aber er beschließt, sich darum zu bemühen, seinen eigenen Weg zu finden. Schließlich kommt Stripe wieder auf dem Boden an. Er kriecht davon, um Yellow wiederzufinden, und schafft es schließlich wie sie, seinen Kokon zu spinnen und ein schöner Schmetterling zu werden.